Als erster Gast war Safiye Can bei uns. Die in Deutschland geborene Lyrikerin mit tscherkessischen Wurzeln las aus ihrem neusten Gedichtband «Kinder der verlorenen Gesellschaft». Mit ihrer visuellen Poesie und ihrem strahlenden Auftreten vermochte sie ihr junges Publikum sofort zu begeistern. Alle im Raum spürten: Safiye Can lebt für ihre Lyrik. Aus zufälligen aus Zeitschriften ausgeschnittenen Wortschnipseln formt sie ihre Alltags- und Liebesgedichte. All jene Lernenden, die sich nach der Lesung für ein Gespräch oder signiertes Buch um Safiye Can herum gruppierten, wurden mit einer herzlichen Umarmung verabschiedet.
Eine Woche später folgten Julia Weber, Jens Nielsen und Jonas Lüscher. Julia Weber hatte sozusagen ein Heimspiel. Sie absolvierte die Berufsmaturität an unserer Schule. Anschliessend studierte sie literarisches Schreiben am Literaturinstitut in Biel. Bekannt geworden ist Julia Weber durch ihren «Literaturdienst». Dabei dokumentiert sie während besonderer Anlässe wie Familienfeiern und Geburtstagsfesten das Erlebte auf einer manuellen Schreibmaschine und hält dieses so literarisch fest. Für die Lesung liess Julia Weber ihre Schreibmaschine dann aber zu Hause und brachte ihren ersten Roman «Immer ist alles schön» mit. Dieser Roman erhielt viel Beachtung und wurde 2017 für den Schweizer Buchpreis nominiert. Julia Weber las den Anfang daraus vor, sodass die Lernenden ohne lange Einführung unmittelbar in die Geschichte eintauchen konnten. Im anschliessenden Gespräch verdeutlichte die Autorin mit einer Liebeserklärung an die Literatur, wie wichtig ihr das Schreiben sei. Auf eine der vielen Fragen aus dem Publikum gestand sie, dass das Schreiben sie davor bewahre, so zu werden wie beispielsweise die im Roman genannte Mutterfigur.
Mit seinem ersten Satz, dass dies die früheste Lesung sei, die er je gehalten habe, gewann Jens Nielsen die Sympathie seiner Zuhörerschaft sofort für sich. Seine frei vorgetragenen Texte stammen aus seinem Buch «Flusspferd im Frauenbad», das 2016 für den Schweizer Literaturpreis nominiert wurde. Die kurzen Texte entstanden als Radiokolumnen, welche vertraute Alltagssituationen widerspiegeln, dann aber plötzlich unerwartete, oft makabre Wendungen nehmen. Konzentriert lauschten die Lernenden den vorgetragenen Passagen und verliehen ihrer Begeisterung für den frühmorgendlichen Auftritt von Jens Nielsen mit einem tosenden Applaus Ausdruck.
Dass Erfolg nicht vom Himmel fällt, hat der Autor Jonas Lüscher dem jungen Publikum gleich eingangs erläutert: Acht Jahre lang habe er nachts gekellnert und tagsüber seine Romane geschrieben. Etliche Verlage waren an seinen Texten nicht interessiert, bis er dann doch einen Verleger fand, der an ihn glaubte und ihn ermutigte, die Novelle «Frühling der Barbaren» zu verfassen. Dieser Erstling wurde 2013 für den Schweizer Buchpreis nominiert. Für seinen zweiten Roman «Kraft» erhielt Jonas Lüscher 2017 den begehrten Buchpreis. Lüscher las aus diesem Roman vor und weckte viele Fragen, die in der anschliessenden Diskussion für regen Gesprächsstoff sorgten.
Auch die diesjährigen Lesungen waren wieder ein Erfolg: Sie waren allesamt gut besucht und gaben den Lernenden einen hautnahen Einblick in das Schaffen von Autorinnen und Autoren – ein Erlebnis, an das sich viele bestimmt noch lange gerne erinnern werden.