Den Dienstag widmeten wir uns der von Ralph Rugoff kuratierten Ausstellung der diesjährigen Biennale. Das Arsennale war für den Ausstellungszweck mit einer ungewohnt verschachtelten, neuen Architektur versehen, die als Anspielung auf das Grundthema der Schau zu verstehen war: Die hölzernen Wände spielten einerseits auf die politische Thematik des Mauerbaus an. Andererseits stellten die unverkleideten Wände die Frage nach Schein und Sein, nach dem wahren Zustand, der sich hinter den üblicherweise weiss gestrichenen Wänden der klassischen White Cube-Ausstellungen verbirgt. Fake News und politische Fragen bildeten so auch den Grundtenor der Werke der jungen Kunstschaffenden.
Unsere Begleitung war von Künstlern und Kurator gebrieft und erschloss uns manche der komplizierten Überlegungen, welche sich hinter den intellektuellen Arbeiten verbargen. Viele Werke faszinierten durch ihren tiefgründigen, ernsten Blickwinkel. Zwiespältige Empfindungen hinterliess ein Werk des diesjährigen Gewinners des Goldenen Löwen, Arthur Jafa. Der weit gespannte Deutungsbogen, der ein mit massiven Ketten versehener Truck-Reifen zum Besten gab, legte manche Stirn in Falten: Einerseits sollten die Ketten an die tragische Geschichte der Sklaverei erinnern, welche die Vorfahren des Künstlers erleiden mussten, andererseits sollte damit der Untergang der Automobilindustrie beklagt werden. Diese waghalsige Kombination legte die Grenzen der Deutbarkeit von Kunstwerken deutlich an den Tag, regte unsere Gruppe jedoch zur Frage an, ob es heute noch eine Rechtfertigung zur Thematisierung von amerikanischer Sklaverei in der Kunst gäbe. Stefanias afroamerikanische Wurzeln boten den Anlass für unser Gespräch und belehrten uns, dass rassistische Tendenzen im Schweizer Alltag wieder vermehrt spürbar sind.
Der folgende Tag war einer ganz anderen Welt Venedigs gewidmet: der Fabrikation von kostbaren Seidenbrokaten. Venedig erlangte bereits vor 500 Jahren Berühmtheit durch seine Herstellung von goldgewirkten Seidenstoffen, die heute noch Inspirationsquellen für aktuelle Kollektionen sind. Wir hatten die Gelegenheit, das Textil-Archiv der traditionsreichen Firma Rubelli zu besichtigen und erhielten faszinierende Einblicke in die historische Textil-Kunst, die auch in der Malerei ihren Widerhall findet.
Goldbrokate des 15. Jahrhunderts sind heute nur sehr selten in originalen Beispielen zu sehen. Die fachkundige Führung durch Sara Boatto eröffnete uns den Blick für die Besonderheiten und die grosse Kunstfertigkeit der venezianischen Weberinnen. Uns faszinierte besonders das imposante Webmuster des Theatervorhanges, der heute das Bolschoi-Theater in Moskau ziert und den die Weberinnen der Firma Rubelli fabrizierten. Für das Endprodukt wurden 500 Kilogramm Gold gewirkt, der gesamte Vorhang vor der renommierten Ballettbühne wiegt ganze 900 Kilogramm. Das Velluto alluciollato, eine der raffinierten traditionellen Brokat-Techniken des 15. und 16. Jahrhunderts, entdeckten wir schliesslich auch in vielen Gemälden, die wir in den Kirchen der Stadt aufsuchten.
Ein grossartiges Highlight der Reise war der Besuch einer Oper in einem historischen venezianischen Palast, dessen unterschiedliche Räume sowohl Zuschauerraum wie auch die Bühne für das Ensemble bildeten. So genossen wir mitten unter den Sängern sitzend einige Passagen aus dem Stück «Der Barbier von Sevilla» von Rossini und tauchten einen Abend lang in das gediegene Ambiente der venezianischen Nobili ein.
Ein Ausflug nach Padua zu Giottos Arenakapelle bildete den Abschluss unserer Reise, die auch in diesem Jahr ein erinnerungswürdiges Highlight war.